Mit dem Tod von Prinz Wilhelm von Preußen gibt es keine Möglichkeiten mehr, die konstitutionelle Monarchie an die Stelle der Hitlerdiktatur zu setzen.
Für Friedrich Wilhelm Heinz ist dies, neben dem Schmerz über den Verlust des Freundes, der Beginn des Rückzugs aus dem aktiven Widerstand, zumal das Regime sich auf seinem Zenit befindet und die deutsche Bevölkerung, auch wegen des schnellen Sieges über den „Erbfeind“, fest dahinter steht.
Als er jedoch Mitte August 1940 wieder einmal in Berlin eintrifft, ist durchgesickert, dass Görings Geheimdienst („Forschungsamt der Luftwaffe“) sowohl die hochverräterischen Telefonate Osters mit dem holländischen Militärattaché als auch belastende Gespräche anderer aufgezeichnet hatte.
Wohl kann Admiral Canaris mit der ihm eigenen List die Ermittlungen ins Leere laufen lassen, aber das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) beginnt, sich für die Abwehrabteilung am Tirpitzufer zu interessieren.
Jetzt verlassen immer mehr Verschwörer der ersten Stunde die Abwehr, entweder auf diplomatische Auslandsposten oder aber zu Kampfverbänden der Wehrmacht.
Auch Heinz hat den Bürobetrieb, den zum Teil konspirativen Dilettantismus einiger in der Abwehr sowie das ständige Zögern großer Teile der Generalität satt und verlangt nach einem Truppenkommando.
Am 1. Januar 1941 wird er Kommandeur des der Abwehr II im OKW direkt unterstellten I. Bataillons/Lehrregiment „Brandenburg“ z.b.V [„zur besonderen Verfügung“] 800.
Er holt, in Absprache mit Oster, regimekritische Soldaten und Offiziere zu „Brandenburg“, zum Teil Angehörige „seines Stoßtrupps“ vom September 1938, um eine starke Zelle des Widerstandes innerhalb dieser Truppe zu formen.
Hier trifft er auch auf den ihm durch seine schriftstellerische Arbeit bekannten Oberleutnant Dr. Hartmann, der in seinem Bataillon die zweite Kompanie führt.
Heinz ist, Zeit seines Lebens, politisch aktiv gewesen, ihm eilt der Ruf eines Haudegens voraus. Auch Hartmann war ein solcher Haudegen, allerdings politisch nicht aktiv. Doch beide verbinden Patriotismus und die Gabe des Schreibens.
Hartmann, unverheiratet und in Brandenburg ohne Familie, ist oft Gast bei der Familie Heinz im Landhaus in Pieskow am Scharmützel-See. Über die Kameradschaft hinaus entwickelt sich eine tiefe Freundschaft.
Ich bin überzeugt, Hartmann wusste etwas von den Staatsstreich-Plänen seines Kommandeurs, denn das Haus von Heinz in Pieskow als auch das in Berlin-Lichterfelde waren Anlaufstellen, zu der immer wieder einzelne Verschwörer kamen.
Vor mir liegt „Durst“, darin die Widmung:
Herrn Major Heinz in Kameradschaft verehrt… bei z.b.V. 800
Wolf Justin Hartmann
Brandenburg/Havel
Im 2. Frühling des 2. Krieges, als wir wieder einmal hoffen…
Ich möchte noch auszugsweise etwas aus dem Brief zitieren, den Wolf Justin Hartmann Frau Hedwig Heinz zum Tode von Friedrich Wilhelm Heinz schrieb:
Ich weiß nur, daß auch ich einen Verlust erlitten habe, wie er nur selten bereitet werden kann, den Verlust eines liebsten Menschen. Und daß auch für mich eine Lücke aufgerissen wurde, die sich nie mehr schließen oder auch nur verschmälert wird.
Denn die Fülle der Erinnerungen, die sich in dieser Lücke drängt, ist von nie verblasender Leuchtkraft.
Von jener Stunde an, als wir uns in Brandenburg zum ersten Mal die Hände drückten. Wie oft in Pieskow, wir drei vor dem Kamin, bei Gesprächen oder auch nur einem Prost mit Rotwein in die knisternden Flammen hinein.
Oder als er mich und meine Soldaten verabschiedete zu meiner Fahrt nach dem Osten. Oder als wir uns beide zu einer menschlichen Führung dieses furchbaren Feldzuges bekannten. Sooft und wo ich das Glück hatte, mit ihm zusammen zu sein, er war nicht nur mein Vorgesetzter, vorbildlich in seinem Pflichtbewußtsein und seiner Verantwortlichkeit, er war auch mein bester Kamerad und Freund. Und wuchs mir wie kein anderer zum Herzen.
Ich denke noch an jene Stunde, als ich ihn endlich wiedersah, in der Bombenruine, in der er vor den Häschern Zuflucht gefunden hatte. Bei aller Freude, daß wir noch atmeten und tätig sein durften, wie tief war unser Leid und Schmerz, weil Deutschland nicht nur den Krieg verloren hatte, sondern auch sein geschichtliches Vermächtnis von Ruhm und Ehre Unwürdigen opferte. Und die Narrheit triumphierte, der Frevel wildgewordener Spiesser, der Ungeist der Banausen. So traurig wie ich damals von ihm ging, diesem großartigen Mann, bin ich nur beim Tod meiner Mutter und Schwester gewesen.
Ohne jetzt der Zeit vorzugreifen, will ich hier doch kurz darauf eingehen, was Hartmann in seinem Kondolenzschreiben auch angesprochen hat: Die Flucht von Friedrich Wilhelm Heinz in den Untergrund.
Denn, nach ihrer gemeinsamen Zeit bei „Brandenburg“ bis zum Herbst 1943, dieses Mal auf dem Balkan im Einsatz gegen Tito-Partisanen, verlässt Heinz wegen einer Erkrankung das Regiment.
Nach seiner Genesung ist die nächste Verwendung von Heinz die des Kommandeurs des Heeresstreifendienstes im Wehrkreis III (Groß-Berlin und Mark Brandenburg).
In dieser Funktion erlebt er auch den 20. Juli 1944, den Tag, an dem Oberst i.G. Graf von Stauffenberg im ostpreußischen Führerhauptquartier Rastenburg versucht, Adolf Hitler mit einer im Lagebunker hinterlassenen Bombe zu töten.
Nach Berichten hatte Heinz, der am 20. Juli im Berliner Bendlerblock weilte, zwei Stoßtrupps des Heeresstreifendienstes Wehrkreis III zur Verfügung von Oberst Friedrich Jaeger (* 25. Sept. 1895 Kirchberg a.d.Jagst, hingerichtet am 21. Aug. 1944 in Berlin-Plötzensee) bereitgestellt, um Minister Goebbels zu verhaften.
Allerdings war Heinz, trotz seiner Schlüsselstellung als Kommandeur des Heeresstreifendienstes, in die Geschehnisse nur am Rande beteiligt und verließ am Nachmittag des 20. Juli unbehelligt den Bendlerblock.
Nach Niederschlagung des Putschversuches durch das Berliner Heeres-Wachregiment und Liquidierung von Oberst Graf Stauffenberg und weiterer Verschwörer durch ein „Standgericht“ des Heeres, erhielt der Reichsführer SS, Heinrich Himmler (* 7. Oktober 1900 München – Selbsttötung 23. Mai 1945 Lüneburg), durch Führerbefehl die alleinige Verantwortung für die Aufklärung der Vorgänge um den 20. Juli. Eine Sonderkommission des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) wurde in ihren Ermittlungen schnell fündig, die Zahl der Festnahmen steigerte sich täglich.
Durch die Aussagen des inzwischen verhafteten Generals Oster schwer belastet (die Division Brandenburg sei bei einem Putsch zur Abriegelung des Führerhauptquartiers vorgesehen gewesen), erfolgen Heinz’ Verhaftung und mehrtägige Verhöre durch einen der führenden Offiziere der Abwehrabteilung im Reichssicherheitshauptamt (RSHA), SS-Standartenführer Walter Huppenkothen (31. Dezember 1907 Haan/Rheinland – 1979 Lübeck)
Heinz streitet, da es bisher keine greifbaren Beweise gab, jede Beteiligung ab und wird wieder entlassen.
Allerdings findet, um den 20. September 1944, ein Beamter des RSHA in einem Panzerschrank des Oberkommandos des Heeres (OKH) in dem südlich von Berlin gelegenen Ort Zossen umfangreiches und belastendes Material der Verschwörer, u. a. aus der Zeit der September-Verschwörung 1938, das Heinz und andere längst vernichtet glaubten.
Huppenkothen erlässt sofort Haftbefehle, auch gegen Heinz, der jedoch von Angehörigen seines alten 4. Regimentes Brandenburg gewarnt wird, was ihm einige Stunden Vorsprung sichert. Er taucht bei immer neuen Adressen in und um Berlin unter, auch in dem Gartenhaus in der Eisenacher Str., in dem schon im September 1938 die Angehörigen des Stoßtrupps auf ihren Einsatz gewartet hatten.
Heinz verdankt vielen Freunden, Kameraden und Bekannten sein Leben, darunter auch Wolf Justin Hartmann.
In den letzten fünf Monaten vor Kriegsende findet Heinz Unterschlupf bei Ulrike Weitzen, einer Angehörigen der Berliner Widerstandsgruppe „Onkel Emil“ um Ruth Andreas Friedrich, die ihn sowohl verpflegen als auch versuchen, mehr über das Schicksal von seiner im Zuge der Sippenhaftung im Gefängnis sitzenden Frau und den Kindern zu erfahren. Die vom damaligen Leutnant im 4. Regiment, von Bülow, gefälschten Papiere von Heinz tragen den Namen Major Hartmann.
Das ist die Zeit, in der Wolf Justin Hartmann seinen Freund in der Ruine wieder gefunden hatte.
Doch ich habe der Zeit vorgegriffen. Zurück ins Kriegsjahr 1941.
Nach dem blutigen Einsatz des 1. Bataillons bei Winniza (heute weiß man, daß es ein Schwerpunkt der sowjetischen Verteidigung war, in den die 2. Kompanie hineingestoßen war), und der anschließenden Auffrischung in Brandenburg, wurde das Lehrregiment „Brandenburg“ z.b.V. 800 neu gegliedert.
Major Heinz, dem die Rettung des Bischofs der Unierten Kirche, Graf Czepticki, und eine schriftliche Meldung über ein Pogrom in Lemberg, ausgeführt von einer deutschen Polizeieinheit, im nationalsozialistischen Deutschland großen Ärger verursacht hatte (Himmler hatte Canaris wissen lassen, dass die Rettung des Metropoliten aus der brennenden Kirche und sein Verbergen vor SD-Einsatzkräften nicht im Sinne Adolf Hitlers gewesen sei, da man alle ukrainischen Bewegungen unterdrücken und alle Russen wie Sklaven behandeln müsse), muss sein Bataillon abgeben und erhält vom Chef der Abwehr einen neuen Auftrag: Aufstellung einer Abwehrschule.
Am Vormittag des 28. Oktober 1941 verabschiedet sich Heinz vom Bataillon.
Am Abend des 28. Oktober ist Wolf Justin Hartmann zu Gast im Berlin-Lichterfelder Haus von Heinz in der Baseler Straße 34. Er hat seinem Kameraden seinen Erfolgsroman „Mann im Mars“ mitgebracht und eine Widmung vorbereitet:
Meinem Kameraden Herrn Major Heinz und seiner sehr verehrten Frau in dankbarer Erinnerung
Wolf Justin Hartmann
2./L.R.Br.z.b.V. 800
O.U.- im Herbst des 3. Jahres des 2. Krieges.
Was an diesem Abend zwischen Heinz und Hartmann gesprochen worden ist, ist nicht bekannt. Sicher ging es auch um den Krieg und ihr Vaterland, wahrscheinlich aber gab es auch Gespräche über die immer noch verfolgte Absicht des Kreises um Oster und Heinz, das Regime durch einen Staatsstreich zu beseitigen. Es muss also weit mehr darüber hinaus gegangen sein, was sonst ein Bataillonskommandeur mit einem seiner Kompaniechefs bespricht, denn die eben erwähnte Widmung ist durchgestrichen. Eine Seite weiter schreibt Hartmann:
Meinem Freund Friedrich Wilhelm Heinz
Und seiner verehrten Frau –
Ein Klang von jenem Leben,
dem wir verbunden und verschworen sind –
am Tage eines Abschieds, der zum Tage unseres Findens wurde.-
Dein Wolf Justin
28.X.41
Allerdings soll hier nicht der falsche Eindruck erweckt werden, Hartmann sei tief in den Widerstand gegen das NS-Regime eingebunden gewesen. Aber Heinz war sich absolut sicher, dass sein Freund und Kamerad Wolf Justin – bei einem „Walküre“-Einsatz – in jedem Fall „auf der richtigen Seite“ gestanden hätte!
Hauptmann Dr. Hartmann bleibt im I. Bataillon „Brandenburg“ z.b.V. 800 Chef der 2. Kompanie. Während der Wintermonate, bis zum Frühjahr 1942, ist die Kompanie dem üblichen Kasernenbetrieb unterzogen.
In dieser „an den Nerven zehrenden Zeit“, so berichtet der ehemalige „Brandenburger“, Pastor Claus von Aderkas, in seinem Nachruf,
hat uns Hartmann über Wochen in seiner großartigen Erzählkunst mit einem Vortragszyklus „Schicksalsweg einer Generation“ nicht nur immer wieder den Horizont erweitert, sondern auch einen sehr persönlichen Einblick in sein eigenes Leben gewährt …
.
Er war uns ein lebensvoller, unformeller und umsichtiger Chef, der jeden seiner Männer weit besser kannte als nur dem Namen nach, und deren volles Vertrauen, deren Zuneigung und Achtung er genoss.
Beim Lesen dieser honorigen Zeilen erinnere ich mich plötzlich an eine Art weiteren Nachruf an ihn, den mir ein ehemaliger Soldat von Dr. Hartmann vor vielen Jahren persönlich mitgeteilt hat.
Es war im Spätsommer 1975. Ich saß eines frühen Abends, mit zwei weiteren Bundeswehrkameraden, in einem Lokal in Plön in Holstein, wo wir am nächsten Tag an einer Veranstaltung der Marine-Unteroffizier-Schule teilnehmen wollten.
Am Nebentisch herrschte reger Betrieb, denn die Runde von fünf Herren, alle zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt, bestellte nicht nur eine Runde Korn und Bier nacheinander, sondern pflegte auch das gesellig laute Gespräch.
Als sie uns Heeressoldaten mit Infanteriekragenspiegeln, was ja an den Marinestandorten nicht so häufig vorkommt, wahrnahmen, ließen sie jedem von uns ein Bier und einen Schnaps, also die sog. Lütje Lage, bringen. Die Herren prosteten uns freundlich zu, fragten, woher wir kämen und wohin wir gingen, und widmeten sich bald wieder der Zecherei.
Aber kurze Zeit später begannen die trinkfesten Veteranen, wohl inspiriert von unseren Uniformen, ein zu dieser Zeit unter älteren Knaben nicht unübliches gegenseitige Frage- und Antwortspiel: „Wo warst Du denn im Krieg“?
Jeder gab seine Antworten, nur einer, den sie „Michel“ nannten, blieb ruhig. Und als die anderen ihn drängten, „lass doch jetzt mal die Hose runter, oder warst du bei der SS?“, winkte der nur ab und meinte: „Den Verein, bei dem ich war, kennt ihr doch sowieso nicht. Aber der war schon was ganz Besonders. Ich war da der Fahrer von einem bekanntem Schriftsteller mit ´nem dicken türkischen Orden auf der Brust, einer aus dem Ersten Weltkrieg. Das war nämlich mein Kompaniechef und das war ein ausgesprochen ordentlicher Mann. Für den wären wir alle durchs Feuer gegangen.“
Bei mir läuteten alle Alarmglocken. „Unbekannter Wehrmachtsverband? Offizier mit türkischem Orden? Schriftsteller?“
Aber viel mehr gab Michel nicht mehr zu Protokoll und irgendwann dröhnte vom Nebentisch nur noch röhrendes Gelächter.
Nachdem aber auch der älteste und schlechteste Witz erzählt worden, und der Pegelstand des Einzelnen kurz vor dem „Eichstrich“ angekommen war, zogen sich drei Herren zurück. Am Tisch blieb nur „Michel“, zusammen mit einem Kameraden.
Ich sah meine Chance gekommen, mehr zu erfahren und pirsche mich ran: „Sie haben da vorhin etwas von einem unbekannten Verband erzählt und Ihrem Kompaniechef. Meinten Sie vielleicht Brandenburg und hieß Ihr Chef Hartmann?“
Michel verschluckte sich fast an seinem Bier, dann sah er mich freudig an: „Mann, das glaubt mir zuhause kein Mensch, dass so ein junger Heeresoffizier überhaupt etwas von dem Haufen weiß und dann noch den Namen meines Chefs kennt!“
Und jetzt erzählte mir der Stabsgefreite a.D. Michel B. von der Zeit mit Dr. Hartmann in Krieg und Frieden und er war voll des Lobes. Er plauderte förmlich aus dem Nähkästchen: „Der Hartmann hat sich sogar einmal schwer für mich ins Zeug gelegt, als ich von unserem Bataillonskommandeur vor der Poststelle des Regimentes erwischt worden bin, wo ich nur mal schnell rein bin und draußen meinen Kübel mit „Motor an“ und „Schlüssel im Zündschloss“ abgestellt hatte. Das war natürlich verboten und der Major hat mir gleich direkt am Auto drei Tage Bau verpasst!“
Obwohl ich wusste, was jetzt kam, fragte ich ganz harmlos: „Wie hieß der denn?“ und bekam postwendend die ehrliche Antwort: „Der Arsch hieß Heinz!“
Nun ja, als ich mich als Sohn dieses Kommandeurs vorgestellt hatte, gab es erst einmal ein homerisches Gelächter, dann aber auch ein ziemliches Besäufnis, wie das unter Soldaten (und nicht nur unter denen) ab und zu einmal nötig ist.
Doch zurück in Jahr 1942.
Mit Datum 1. November wird das Lehrregiment „Brandenburg“ auf die Stärke einer Division gegliedert und führt fortan den Namen Division „Brandenburg“ z.b.V. 800.
Damit wollte man endlich auch über die Bezeichnung eine Distanz zu normalen Heeresdivisionen herstellen und damit verhindern, was in der Vergangenheit immer häufiger geschehen war: Höchste und hohe Kommandostellen an der Front hatten die ihr zugeteilten Spezialtruppen von „Brandenburg“ oft als infanteristische „Feuerwehr“ missbraucht und zum Teil „verheizt“, um eigenes Blut zu schonen.
Wo Dr. Hartmann während des zweiten Halbjahres 1942 dienstlich eingesetzt war, ob er in Brandenburg an der Havel geblieben oder kurzzeitig mit „Brandenburg“ in Italien war, ist offen. Möglicherweise war er während dieser Zeit auf einen Bataillonsführer-Lehrgang.
Denn auf der Stellenbesetzungsliste des 4. Regimentes „Brandenburg“ vom 1. Januar 1943 finden wir Hauptmann Hartmann als Kommandeur des II. Bataillons. Sein Regimentskommandeur ist der inzwischen zum Oberstleutnant beförderte Friedrich Wilhelm Heinz, der ihn in seinen Verband geholt hat.
1943 verstärkt die Wehrmacht ihre Präsenz in Griechenland und auf dem Balkan mit Verbänden, die Gebirgskampferfahrungen mitbringen.
Als erster „Brandenburg“-Verband verlegt das 4. Regiment „Brandenburg“ nach Jugoslawien. Oberstleutnant Heinz fährt am 17. April 1943 nach Belgrad seinem Verband voraus, um dort den Einsatz des II. Bataillons (Dr. Hartmann) und des nachzuziehenden I. Bataillons/4. Regiment „Brandenburg“ vorzubereiten.
Der Auftrag für ihn und sein Regiment lautet: „Unterstützung der 1. Gebirgsdivision und der 7. SS-Freiwilligen-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“ bei ihrer Operation gegen die kommunistischen Partisanenverbände unter Tito“.
Am 28. April lädt Hartmanns II. Bataillon in Raska aus und verlegt weiter nach Sjenica (Südwestserbien). Dort wird es der 1. Gebirgsdivision unterstellt.
Mitte 1943 liegt der Schwerpunkt des II. Bataillons „Brandenburg“ im Raum Sarajewo, wo dieser Verband immer wieder zum Einsatz gegen Partisanenverbände kommt. Hauptaufgaben sind, die Ruhe im Lande zu erhalten, die Nachschubstraßen freizukämpfen und jegliche Verbindungen der Partisanen zu alliierten Anlandungsversuchen zu verhindern. Ein halbes Jahr später liegt der Einsatzraum westlich von Travnik-Banja Luka-Livro.
Ab 13. September 1944 wird die Panzergrenadierdivision „Brandenburg“ (bis zu ihrer Kapitulation am 10. Mai 1945 gegen russische Truppen bei Benneschau im damaligen sog. Protektorat), beim Panzerkorps „Großdeutschland“, einem 100 prozentigen Großverband des Heeres, als „normale“ Infanteriedivision verwendet und zum Teil „verheizt“.
Das 4. Regiment „Brandenburg“ steht bis zum Rückzug 1944 in Kampfraum Jugoslawien, doch ob Hauptmann Dr. Wolf Justin Hartmann bis dahin sein Bataillon führt, ist zu bezweifeln. Immerhin zählt er jetzt ja bereits 50 Jahre. Wahrscheinlich war er zum Ersatzbataillon nach Brandenburg versetzt.
Es ist allerdings auch möglich, dass er bis Ende Mai 1944, mit dem IV. Bataillon des Alarmregiments „Brandenburg“ im norditalienischen Castelnuevo bei Triest stationiert ist, von da dann im Sommer wieder im Heimatstandort Brandenburg beim Ersatzbataillon „Brandenburg“ verwendet worden. Dafür spricht auch, dass er zu dieser Zeit und nach dem Untertauchen seines ehemaligen Kommandeurs, diesen im Winter 1945 in den Trümmern der Großstadt Berlin finden konnte.
Dann ist, am 8. Mai 1945, auch für Hauptmann Dr. Wolf Justin Hartmann der Zweite Weltkrieg zu Ende. Unpolitisch wie er war, hatte er, wie viele Millionen in Feldgrau, seinem Vaterland gedient wie ein Angelsachse zu allen Zeiten: „Right or wrong, my Country!“
Sicher, mit dieser Einstellung fällt man heute bei worttapferen „kritischen“ Intellektuellen und ihrem wohlfeilen Pseudo-Widerstand durch, aber über diese hatte der große Ernst Jünger nur folgenden Satz übrig:
Heute gilt es als löblich, gegen den Strom zu schwimmen, aber das sind nur Pißrinnen.
Auch Wolf Justin Hartmann hatte den Krieg verloren. Seine Heimat lag in Trümmern und blutete aus vielen Wunden. Dazu kam die materielle Not, denn Reichtümer hatte er, der treue Idealist, nie ansammeln können.
Bald machte er sich wieder an die Arbeit und tat das, was ihm, auch und besonders nach seinem ersten Krieg, die beste Therapie war: Er schrieb! Jetzt aber nicht mehr vom persönlich Erlebten!
Die aktiven und passiven Begegnungen, sicher auch die Trümmerwüste von Würzburg, hatten ihn erschöpft, auch schriftstellerisch. Das waren keine soldatische Abenteuer mehr gewesen wie die des Leutnant Georg Werner in „Durst“ oder die anrührende Geschichte der Heiligen Nacht „Zu Gomiécourt, in der Kirche“.
Nein, in seinem zweiten Krieg, den er, soweit das möglich war, immer menschlich geführt hatte, waren Dinge passiert, die den Schriftsteller schweigen ließen.
Palästina? Das war ein Feldzug! Aber Russland und Jugoslawien? Blutigster Vernichtungskrieg!
Ernst Jünger hatte, im November 1942, nach dem Besuch der Front im Osten und den Schreckensmeldungen über die „Vernichtungsorgien des Sicherheitsdienstes“ seinem Tagebuch anvertraut:
Ein Ekel ergreift mich dann vor den Uniformen, den Schulterstücken, den Orden, den Waffen, deren Glanz ich so geliebt habe. Das alte Rittertum ist tot, die Kriege werden von Technikern geführt.
Das hatte sicher auch Wolf Justin Hartmann erkannt, der uns ja, besonders in seiner fruchtbaren Schaffensphase in den dreißiger Jahren, so mitreißende und menschliche Schriften aus den Monaten des Ersten Weltkrieges hinterlassen hat, schnörkel- und floskellos. Man kann sie auch heute noch lesen und vieles besser verstehen, was die biologisch abgetretene Generation der beiden großen Kriege innerlich bewegt hat.
Und doch ist das nicht alles. Denn die Seele dieses im Grunde seinen Herzens hochsensiblen, hochanständigen Mannes, der immer mehr gab als er nahm, hatte auch gelitten unter der Torheit, der Mittelmäßigkeit, aber auch der unritterlichen Brutalität seiner Zeit.
Ich sprach bereits vom „Schreiben als Therapie“, vom „sich Dinge von der Seele reden“, dabei an gefallene Kameraden erinnernd und sie hervorzuheben unter den Millionen vergessener Toten unserer Heere im Glauben an die Macht der Liebe.
Wolf Justin Hartmann hat nicht nur diese Hymnen auf Papier gebracht, sondern auch diese Liebe gelebt. Seine Liebe war ehrlich und immer zuverlässig: Die zu seiner verehrten Mutter, der geliebten Schwester, seiner treusorgenden Lebensgefährtin und Frau, den unvergessenen Kameraden, seiner fränkisch-bayerischen deutschen Heimat und zu der Vision des friedlichen und vereinten Europa!
Wolf Justin Hartmann war in Uniform, was die Amerikaner einen „Offizier und Gentleman“ nennen. Und er war das, was das größte Kompliment ist in allen Kulturen und Sprachen dieser Welt: Er war ein Mensch!
Quellen:
1. Bücher von Wolf Justin Hartmann
Stacheldraht (Drama)
Der Schlangenring
Durst
Ein Glanz lag über der Stadt
2. Manuskripte aus dem Nachlaß
Langemarck (Schlacht um Ypern 1914)
Der Tod ist kein Lump (Gallipoli-Front)
Seine vorletzte Gewissheit (Westfront)
Alte Weise im schimmernden Schweigen (Palästina)
In der Fellachenhütte (Palästina)
Im Dorn (Seine Gefangenschaft)
Krieg
Leier und Schwert Europas (Vorwort zu Sie alle fielen)
3. Weitere Quellen und Literatur
Bundesarchiv Freiburg
Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kriegsarchiv, München
Nachlaß von Friedrich Wilhelm Heinz
T.E. Lawrence: Die sieben Säulen der Weisheit. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1979, 7. Auflage 1992.
Franz Kurowski: „Brandenburger“ und Abwehr im weltweiten Einsatz. Deutsche Kommandotrupps 1939–1945 Band 1. Stuttgart: Motorbuch Verlag, 2000.
Franz Kurowski: „Brandenburger“ und Abwehr im weltweiten Einsatz. Deutsche Kommandotrupps 1939–1945 Band 2. Stuttgart: Motorbuch Verlag, 2003.
Alfred Philippi, Ferdinand Heim: Der Feldzug gegen Sowjetrussland 1941 bis 1945. (Hg. vom Arbeitskreis für Wehrforschung) München: W. Kohlhammer 1962.
Werner Steuber: Yildirim. Deutsche Streiter auf heiligem Boden – Schlachten des Weltkriegs Band 4. Oldenburg i.O.: Gerhard Stalling 1922.
Reichsarchiv (Hg.): Die Osterschlacht bei Arras 1917. 1. Teil: zwischen Lens und Scarpe. – Schlachten des Weltkrieges Band 28. Oldenburg i.O.: Gerhard Stalling 1929.
Max Schwarte (Hg.): Der Seekrieg. Der Krieg um die Kolonien. Die Kampfhandlungen in der Türkei. Der Gaskrieg. Der Luftkrieg. – Der Große Krieg 1914–1918 Band 4. Leipzig: Johann Ambrosius Barth 1922.
Heimo Schwilk: Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben. München: Piper, 2007.
Max Simon-Eberhard: Mit dem Asienkorps zur Palästinafront. 2. Auflage. Selbstverlag 1927.
Zurück zum ersten Artikel dieser achtteiligen Reihe: http://www.hmhensel.com/offizier-und-gentleman-1/
Erinnerungen von Wolfgang Hartmann an den Schriftsteller Wolf Justin Hartmann: http://www.hmhensel.com/mein-freund-hadschi/
Literarische Kurzbiographie von Wolf Justin Hartmann: http://www.hmhensel.com/der-hadschi-aus-franken/
Ich möchte mich für den Blog „Offizier und Gentleman“ bedanken und Sie bitten, diesen Dank Herrn Michael R. Heinz zukommen zu lassen.
Hintergrund ist, dass mein Großvater ebenfalls bei den Brandenburgern war, erzählt hat er nicht viel weil die Kriegsschrecken gerade zum Ende des Krieges wieder zu viel aufwühlen würden. Nur, dass er also auch im Einsatz gegen Tito war, sprich Jugoslawien und umliegende Länder.
Den Heimatschuss bekam er bei den Abwehrkämpfen an der Weichsel und durch die Räumung des Lazaretts Glogau nach Halle kam er nach Hause. Durch diesen Artikel kann ich noch ein wenig mehr stolz auf meinen Großvater sein, ein noch immer großartiger Mensch.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Tomas S.,
ich danke Ihnen für Ihre anerkennenden Worte zu meinem Artikel über W.J. Hartmann, ich habe mich darüber gefreut.
Gerne können Sie mir berichten, was Sie von Ihrem Großvater wissen. Vielleicht kann ich Ihnen mit Auskünften weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus
Ihr Michael Heinz