Wolf Justin Hartmann ist in der Gegend von Baranawitschi eingesetzt, der Stadt im Westen von Weißrußland. Hier hatte im Juni 1916 die russische Brussilow-Offensive gegen deutsche und österreich-ungarische Truppen begonnen, die im September mit einem großen Sieg der Russen endete, aber auch rund 2,3 Million Tote, Vermisste und Verwundete auf beiden Seiten gefordert hatte.
Doch nach Ausbruch der Revolution im März 1917 und, im Juli, rund 1000 Kilometer südlich von Baranowitschi, nach der letzten gescheiterten russischen Offensive, die den Namen des Kriegsministers Kerenski trägt, hatten die Kampfhandlungen gegen deutsche Truppen im selben Maße abgenommen, wie die innenpolischen Auseinandersetzungen innerhalb der konkurrierenden Mächte in Rußland zugenommen hatten.
Allerdings hatte diese Juli-Offensive eine komplette Armee aus sechs deutschen, sechs österreich-ungarischen und einer türkischen Division gebunden, alles Kräfte, die an der Westfront fehlten.
Im Juni 1917 liegt Hartmann, kommandiert zum Artillerie-Messtrupp 90, bei Baranowitschi und „am Wiesengrund der Tschara, südlich der Rokitnosümpfe“. [Das größte Sumpfland Europas auf beiden Seiten des dem Dnjepr zuströmenden Pripet].
In Ein Glanz lag über der Stadt gibt Hartmann Einblick über diesen Abschnitt der Front, an der die Artillerie nichts mehr zu tun hatte.
…lediglich die Infanterie vergnügte sich damit, aus purer Langeweile zwischen ihren Scharfschützen eine Art von wett- und Preiswettbewerb für gegenseitiges Foppen zu veranstalten. Eine herrlich erholsame Ruhe war in ihrem Abschnitt. Sie lagen splitternackt im Gras, hinter der Batterie, sie sonnten sich und rekelten sich vor Behagen. An einem Nachmittag wie schon öfter, einem wahren Ferien- und Urlaubstag. Es war ihnen zu gönnen nach den schweren Verlusten…
Aber natürlich ist auch im Wald von Baranowitschi Krieg, trotz dieser Ruhe. So tötet ein einsam abgefeuertes russisches Schrapnell [eine mit Metallkugeln gefüllte Granate, die über dem Ziel explodiert] während einer Unterhaltung seinen besten Geschützführer und ein heißer, scharfer Splitter fährt in Hartmanns Schenkel.
Aber gegen das Massenmorden an der Westfront muss es eine erholsame Zeit für ihn gewesen sein, denn in einem Nachwort zum Aufsatz „Alte Weise im schimmernden Schweigen“ schreibt er: „Nach dem Graben- und Trichterkrieg im Westen, nach der bereits stillen und fast friedlich wirkenden Front in den russischen Wäldern…“.
Am 27. Juni 1917 wird er zurückversetzt zur 3. Batterie seines alten Artillerie-Regimentes 23, das im Westen steht. Inzwischen haben sich die aber Ereignisse auf seinem ersten Kriegsschauplatz, Palästina, dramatisch verändert. Die Engländer hatten ihren Druck immer weiter verstärkt und im März 1917 schließlich Bagdad erobert.
Im Zuge des Bündnisses befahl Kaiser Wilhelm II., nach Verhandlungen mit dem Osmanischen Reich, die Entsendung des Generals von Falkenhayn in die Türkei, um die Wiedereroberung von Bagdad zu planen.
Dieser geheime Plan für die Offensive wurde von den Türken “Jildirim“, übersetzt „Blitz“ genannt, die deutschen Stäbe nannten ihr Unternehmen „Heeresgruppe F“.
Das für „Jildirim“ vorgesehen deutsche Kontingent hatte die offizielle Bezeichnung „Pascha II“, es wurde auch „Deutsches Asienkorps“ genannt.
Die taktische Führung lag in der Hand von Oberst von Frankenberg und Proschlitz und seines Stabes, den Kern bildeten die drei selbständigen Infanteriebataillone 701, 702 und 703 einschließlich ihrer Infanteriegeschützzüge.
Diese Elite-Bataillone waren im Juli 1917 aus ausgewählten und tropentauglichen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften deutscher Regimenter auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer in Schlesien zusammengestellt worden und verfügten über die moderne Kriegserfahrung, die sie an der Westfront erworben hatten. Den Bataillonen wurden Teile der Maschinengewehrkompanie 701, der Kavallerie-Eskadron „Asienkorps“ und Minenwerfer-Trupps zugeteilt.
Weiterhin gab es die Artillerieabteilung 701, die Pionierabteilungen 205 und 701, die Fernsprechabteilung „Pascha II“, Funkstationen, Feldlazarette, Sanitäts- und Kraftwagentransportstaffeln sowie fünf Fliegerabteilungen mit den Nummern 300 „Pascha“, 301, 302, 303 und 304.
Trotzdem soll man sich weder von der Truppeneinteilung noch dem großspurigen Begriff: „Deutsches Asienkorps“ blenden lassen. Auf dem Papier sah das Ganze aus wie ein starkes und kampfkräftiges Gebilde, die Wirklichkeit aber war völlig anders aus, da es bei den deutschen Truppen immer wieder am Notwendigsten fehlte.
Oberst von Frankenberg vermerkt in seinem Kriegstagebuch:
„Die Bezeichnung „Deutsches Asienkorps“ war geradezu ein Unglück, denn die insgesamt nur neun Kompagnien starke Infanterie war bis auf wenige Gewehrträger völlig in der Verwendung als Tierführer und an den M.G. [Maschinengewehren] aufgegangen. Als sich sehr bald Krankheiten einstellten, verringerte sich die Zahl naturgemäß entsprechend.“
Ob es überhaupt sinnvoll war, deutsche Truppen hierher zu verlegen, soll hier nicht besprochen werden. Jedenfalls aber sahen sich die Deutschen von Beginn an mit Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit türkischen Kommandobehörden konfrontiert, was sowohl in der Natur des Landes, den unzulänglichen Verkehrsverhältnissen und besonders in der Mentalität der Türken begründet lag.
Am Ende des Feldzuges standen die deutschen Verbände, auf sich gestellt im fremden Land und förmlich als „Fels in der Brandung“, während die türkischen Desertationszahlen im letzten Kriegsjahr in die Zehntausende gingen.
Zusammen mit den bereits 1916 als „Pascha I“ verlegten Maschinengewehr- und Minenwerfer-Truppen und den Verstärkungskräften 1918 – Kurhessisches Reserve-Jägerbataillon Nr. 11, Infanterie-Regiment 146 (1. Masurisches), Feldartillerie – Regiment 305 und Jagdstaffel 55 – standen insgesamt rund 14000 Mann zur Verfügung. Die österreich-ungarischen Verbände zählten rund 4000 Soldaten.
Die Masse des „Asienkorps“ verlegte erst ab 4. November 1917 im Eisenbahntransport nach Südosten und überschritt am 15. die türkische Grenze bei Adrianopel. Eine Woche später ging es in einem äußerst beschwerlichen Landmarsch weiter bis in die Nähe der Front, wo sich das Korps kriegsmäßig gliederte.
Allerdings hatten die Türken die vorgesehene Hauptaufgabe, die Operation gegen die Briten in Bagdad, quasi über Nacht wieder aufgegeben.
Überhaupt mussten die eingesetzten Deutschen sehr schnell feststellen, dass auf diesem Kriegsschauplatz alles ganz anders war. Hier, wo Krankheiten und Seuchen wüteten und dadurch ganze Divisionen der türkischen Verbündeten mattgelegt worden waren, war schon die Marschordnung der Truppen umgekehrt als zum Beispiel die an der Westfront. In der Wüste Palästinas marschierte nicht die Kampftruppe zuerst, sondern zuerst der die Straße bauende Pionier, dann der die Unterkunft und Wasserversorgung fertigstellende Quartiermeister, schließlich die Formationen des Nachschubs und der Sanitätstruppen, und erst am Ende die fechtende Truppe.
Zurück zum Artillerieleutnant Wolf Justin Hartmann. Am 3. Juli 1917 erhält er, für beständige Tapferkeit in einem bayerischen Verband, den Bayerischen Militärverdienstorden 4. Klasse. [Das silberne und blau emaillierte Kreuz, gestiftet 1866, ist verziert mit Flammen in den Winkeln. Der bayerische Löwe blickt nach links, ein gekröntes Monogramm steht auf schwarzem Grund. Die letzte Verleihung dieses bayerischen Ordens erfolgte 1918.]
Zugleich erfolgt, am 20. Juli 1917, seine Versetzung als Ordonanz-Offizier zum Stab der bereits oben erwähnten Feldartillerie-Abteilung 701. Er verlässt, mit einem sog. Vorkommando, Deutschland und trifft am 28. August an der Front bei Gaza – Bir-es-Beba ein [Bir-es-Beba, auch Beersheba – 40 Km westlich von Hebron].
Bis September 1917 ist er Ausbilder und Divisions-Artillerie-Berater bei der 19. (türkischen) Infanterie-Division, die zum XV. Armeekorps gehört.
Dann, bis zum Dezember 1917, wird Hartmann Ordonanzoffizier bei der 24. (türkischen) Infanterie-Division. Beide Divisionen unterstehen der 7. Türkischen Armee, die seit dieser Zeit von Mustafa Fevzi Pascha [1876 Istanbul – 12. April 1950 ebenda] geführt wird.
Hartmanns erster Tag im neuen Dienst als Erkundungsreiter ist der 31. Oktober und erinnert sich im Nachwort zu „Alte Weise im schimmernden Schweigen“: Es war
der Tag des ersten verhängnisvollen Zusammenbruchs der türkischen Südarmee, der Tag, an dem die technische und truppenmäßige Überlegenheit der Briten über tapfere, aber verbrauchte Divisionen unserer Verbündeten entscheidend zu siegen vermochte.
Und auch das Weltkriegsbuch Der Große Krieg schreibt von diesem schwarzen Tag für die türkisch-deutsche Front:
Am 31. Oktober griffen die Engländer Birserba [gemeint ist Bir-es-Beba] mit starken Kräften umfassend an. Die dort stehende 27. türkische Division, welche größtenteils aus Arabern bestand, schlug sich schlecht. Das von der 16. Division zur Unterstützung gesandte 48. Infanterieregiment kämpfte tapfer, aber am Nachmittag mussten die Türken ihre Stellungen räumen und gingen in nordwestlicher Richtung von Tell Scharia zurück. Sehr erhebliche Teile der 27. Division gerieten in Gefangenschaft.
Nun erhielt das Oberkommando der 7. Armee, das in Hebron eingetroffen war, den Oberbefehl über den Abschnitt östlich der Bahnlinie Arak el Menschije – Birserba. Ihm wurde zunächst das III. Armeekorps mit der 24. Division, 16. Division und 3. Kavallerie-Division sowie den Resten der 27. Division unterstellt…
In diesen Stunden beginnt „Alte Weise im schimmernden Schweigen“, Hartmanns Erzählung über seine berittene Frontpatrouille, die aus ihm, vier türkischen Soldaten und einem sarkastischen Rheinländer aus Bonn besteht.
Wo ist das III. Korps?
Immer schwerer wiegt die Frage in den Schalen der Entscheidung…
… Der Sand ist tief und locker; wie ein zuschnappendes Maul schlingt er die Hufe auf. Wenn er so bleibt, dann können wir vielleicht klammheimlich wirklich bis Bir-Seba gelangen. Wenn ich mir überlege, dass ich auf meiner schier endlosen Fahrerei, vom Wald von Baranowitschi im russischen Wald, bis hierher in diese Öde Palästinas, heute morgen noch in Jerusalem, am Mittag mit dem Wagen bei Oberkommando eintraf und jetzt auf Erkundung bin, dann darf ich füglich behaupten, dass ich mal wieder nach guter, alter, ehrbaren Soldatenart just im richtigen Augenblick mit beiden Füssen in die … na, sagen wir einmal: Abenteuerlichkeit unseres Daseins hineingetreten bin…
…Nordausgang Bir-seba …
… Das Getrappel hallt ferner und ferner.
Wir haben die besseren Gäule.
Die ohne Reiter fegen nur so durch den Sand.
Dann halten wir. – Nichts ist mehr von ihnen zu hören. Nur ein Keuchen überstürzt sich. Und die Körner rieseln im Wind.
Bir-seba ist von den Engländern besetzt; wahrscheinlich schon seit Stunden. Das III. Korps muss nach Norden, in Richtung El Daharije ins Gebirge zurückgegangen sein. Das heisst: soviel vom III. Korps noch übrig geblieben ist.
So werde ich telefonieren, bei der ersten Gelegenheit.
Der halbe Mond prangt golden über dem Toten Meer.
Um uns funkelt wie vordem die wunderbare Nacht.
Ein unfassliches Licht verklärt die schlummernde Wüste.
Oh! Wir leben noch immer. Nur dieser und jener fehlt.
Wir ritten nicht ins Verderben!
Hoch sitzen wir in den Sätteln!
Nach diesem glückhaften Ausgang seiner Erkundung wird Hartmann im Dezember Adjutant der 24. (türkischen) Infanterie-Division. Er bleibt es bis zum 17. August 1918.
Ende November nimmt er teil an der „1. Schlacht um Jerusalem“ [genannt auch „Dritte Schlacht bei Gaza“] und im Dezember an der „2. Schlacht um Jerusalem“.
Inzwischen stellen die deutschen Soldaten bei den türkischen Verbündeten starke Auflösungserscheinungen fest. In Panik fliehen zum Teil komplette Verbände vor den Engländern und hinterlassen ein Bild, das General von Falkenheyn drastisch beschreibt: „Wir führen hier nicht einen modernen Krieg, wie an anderen Fronten, sondern wie zur Zeit des Zusammenbuchs der Kreuzzüge.“
Den Heiligen Abend 1917 verbringt Hartmann in einem Abschnitt dieser Front unweit Jerusalem, dort, wo das Christentum seinen Ursprung hat. Jerusalem war am 7. Dezember von türkischen und deutschen Truppen geräumt worden, um es nicht zum Kampfgebiet werden zu lassen und unersetzliche Zerstörungen zu riskieren.
Neben ihm, dem Christen, liegen moslemische türkische Soldaten hinter ihren Maschinengewehren. Sie werden von Engländern angegriffen und deren gekauften arabischen Bundesgenossen, angeführt vom Thomas Edward Lawrence, dem „Lawrence von Arabien“.
Hartmann und die Türken geraten unter Beschuss, Menschen sterben, bald ist es Mitternacht.
Doch hören wir Hartmann selbst in „Glocken um Mitternacht“:
Das Feuer brach schlagartig ab.
Mein Gott! Was ist nur los? Weshalb schiessen sie denn nicht mehr? Sie müssen doch schiessen, die Tommies! Immerzu! Ich traue nicht meinen Ohren … ich verstehe das alles nicht. Der Mond ist da! Klarhell! Wie ist das möglich? Herrgott! Wie wahnsinnig still es ist! Und stiere. – Stiere. – Über die fahle Maske, hinauf nach dem Mäuerchen.
Lautlos und bleich, ein beinernes Band, ruht sie im Licht.
Jede Einzelheit ist erkennbar.
Und höre. – Höre. – Höre.
Ein Läuten schallt! Ein Glockenklang in der Nacht!
Wir schauern und wir beben, wir zittern bei dem Geläute.
Weihnachten in Palästina!
Ein Schwingen, Rufen, Mahnen, ein Beschwören bei Freund und Feind! Hinein in die Schlacht, hinein in die ringenden Heere. Die Töne schwellen und rauschen. Sie brausen über das wehe und heimgesuchte Land. Über die flimmernden Höhen, hinter denen versteckt, unsichtbar unseren Blicken und doch so nah dem leidvollen Kampf der Menschen: Jerusalem! Mit ragenden Getürme! Auf seinen Hügeln hoch und weit gebreitet! Mit seinen Zinnen und Toren, der Klagemauer der Juden! Da ist ja Golgatha! Die Schädelstätte! Der Ölberg! Da ist der Schmerzensgarten am murmelnden Kidronbusch! Die Via Dolorosa! Das Heilige Grab! Jerusalem! Mit dem Vermächtnis einer reinen Liebe! Dem Jubellied seiner Glocken.
Oh! Wundersames, unfassliches, unheimliches Gebet! Geboren aus der Stunde erlösender Geburt. Du Klang der Mitternacht! Als ob ein Geisterreigen zu unseren Häuptern zieht. Ein wallen und ein Wogen von Duldern, Helden, Märtyrern, Propheten auf gnadenreicher Bahn! In eine Welt des Friedens und der Freuden!
Das Feuer schweigt. Der Tod hat ausgelärmt.
Stumm ist der Tod geworden vor der Heiligkeit des Lebens.
Im Klang der Glocken krochen wir zurück.
Nur die Coyoten heulten in den Bergen.
So schreibt 1937 ein ehemaliger Offizier des Ersten Weltkrieges. Mal sentimental, manchmal sogar überströmend, aber immer wieder mahnend oder warnend, ja sogar Beschwörend. Und will doch nur sagen: Lasst uns keinen Krieg mehr erleben müssen.
Doch das Töten auf Palästinas heiligem Boden geht weiter. Immer stärker wird der Druck der Engländer und ihrer Verbündeten auf die deutsch-türkischen Stellungen, die diesem Druck nachgeben und sich zurückziehen müssen.
Anfang Januar 1918 verläuft die türkische Front in einer Länge von rund 75 Kilometern, mit ihrem rechten Flügel am Meer südlich von Nahr el Falik im Dünengelände, dann schräg nach Südosten durch das Gebirge von Judäa über den Tell´Asur, dem rund 1000 Meter hohen Berg im felsigen Hochland am Jordan, bis hinunter zum Jordan. Um den Tell´Asur findet vom 5. bis 10.Januar 1918 die gleichnamige Schlacht statt, an der auch Hartmann teilnimmt.
Zum 1. März 1918 übernimmt der deutsche General und türkische Marschall, Liman von Sanders, die Heeresgruppe (4., 7. und 8. Osmanische Armee). Sanders, ein hervorragender Offizier, kann den Vormarsch der Briten zwar bremsen, aber zu diesem Zeitpunkt ist der Krieg, durch die erdrückende materielle und personelle Überlegenheit der Entente (alleine bei den Fliegern ein Verhältnis 30:1), militärisch nicht mehr zu gewinnen.
Dennoch erleben die Fronten in den folgenden Monaten weitere Kämpfe, ein regelrechtes Hin und Her der Stellungen, fast wie an der Westfront in Frankreich, wo ein Grabenstück manchmal dreimal am Tag den Besitzer gewechselt hatte.
Vom 9. bis 30. März 1918 findet die 1. Jordanschlacht statt. Einen Monat später, in der 2. Jordan-Schlacht vom 30. April bis 6. Mai 1918, greifen die Engländer mit zwei Kavallerie-Divisionen die 7. Armee an. Es gelingt den deutsch-türkischen Verbänden aber nicht nur, die englischen Angriffe abzuweisen, sondern sie sogar zum Rückzug über den Jordan zu zwingen.
In dieser Schlacht hatte sich die 24. (türkische) Infanterie- Division unter ihrem deutschen Kommandeur Oberst Boehme, bei dem Hartmann als Adjutant eingesetzt ist, bestens bewährt, sie wehrte jeden Angriff der Briten ab.
Der Sommer 1918, bei dem wochenlang Temperaturen von 50 Grad Celsius und mehr in Bodennähe herrschen, ist ausgefüllt mit einer Vielzahl kleinerer Operationen, in der sich jetzt immer häufiger auch die Guerillas des „Lawrence von Arabien“ einmischen und den deutsch-türkischen Verbänden empfindliche Nadelstiche beibringen.
Die türkischen Divisionen, nach vier Jahren Krieg zermürbt, können in Ermangelung von Reserven nicht mehr abgelöst werden und müssen an der Front verbleiben. Im Durchschnitt zählt jede Division, ursprünglich ca. 15.000 Mann stark, jetzt nur noch 1300 Gewehre.
Am 16. Juni 1918 wird der deutschen Heeresgruppe vom türkischen Hauptquartier mitgeteilt, dass die Zurückziehung sämtlicher deutscher Truppen aus Palästina beschlossen sei.
Dieser Entschluss wirkt sich auf die Moral der türkischen Truppen, die ohnehin seit Monate kaum versorgt worden sind, verheerend aus. Sie erkennen darin, dass ihre Kampffront nicht mehr an erster Stelle steht. Dagegen beginnen türkische Truppen jetzt einen Feldzug gegen Nordpersien und den fernen Kaukasus, um sich, vor Friedensschluss, die reichen Bodenschätze zu sichern.
Für den einzelnen Soldaten bedeutet die „große Politik“ nichts, er muss täglich seinen Mann stehen. Und wie schon während des Boxeraufstandes in China 1900, heißt es immer wieder: „The Germans to the Front“.
Doch das kostet viel deutsches Blut und ist meistens umsonst, da die türkischen Begleittruppen versagen.
Leutnant Hartmann nimmt an einem solchen Unternehmen teil, das den Namen „Angriff im Jordantal“ trägt. In „Schlachten des Weltkrieges „Jilderim“ wird darüber berichtet:
Der 14. Juli 1918 bot ein Beispiel solch deutschen Opfermutes. Der Feind hielt nördlich Jericho die weit ins Jordantal vorspringende Höhenstellung des Msallabe (im Jordantal, unweit Naaran)besetzt. Taktische Gründe ließen es notwendig erscheinen, sie dem Engländer zu entreißen. Nur ein überraschender Handstreich bot Aussicht auf Erfolg. Dem Kommandierenden General des XX. Armeekorps, Ali Fuad Pascha, als Leiter der Unternehmens, wurden neben den türkischen Truppen die deutschen Bataillone 702 und 703 und eine noch nicht abtransportierte Jäger-Kompanie [unter Hauptmann von Gaedecke vom Kurhessischen Reserve-Jägerbataillon Nr. 11 aus Marburg] zur Verfügung gestellt. Planmäßig begann im nächtlichen Dunkel der Angriff. Die im Zentrum kämpfenden deutschen Truppen überrannten im ersten Ansturm die feindliche Linie, und der Erfolg schien gesichert. Als aber bei Tagesanbruch der völlig überraschte Feind sich sammelte und zum Gegenstoß überging, standen die deutschen Kompanien allein – die türkischen Regimenter rechts und links waren in der Ausgangsstellung stehengeblieben. Von drei Seiten angegriffen, mußten unsere Truppen vor der Übermacht kämpfend zurückgehen; zahlreiche Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften, unter anderem Hauptmann Graßmann, Kommandeur des Bataillons 703, starben hier als Opfer deutscher Pflichttreue und türkischer Treulosigkeit den Heldentod.
Zwar waren auch die erschöpften und dezimierten englischen Truppen zu keinen weiteren Kampfhandlungen mehr fähig, die Verluste der beiden deutschen Bataillone jedoch waren so schwerwiegend, dass sie zur Erholung und Auffrischung zurückgenommen werden mussten und eine ganze Weile für den Einsatz ausfielen.
Nach dieser Schlacht erhält Leutnant Hartmann aus der Hand des Oberbefehlshabers, General Liman von Sanders, den am 1. März 1915 von Großsultan Ghazi Mohamed Reschad Khan gestifteten Orden „Eiserner Halbmond“ [in England bekannt als Gallipoli-Stern, siehe Abbildung oben].
Als sich die Anzeichen mehren, dass der entscheidende Angriff zwischen Meer und Jordan unmittelbar bevorsteht, wird Hartmann am 18. September 1918 als Verbindungsoffizier zu zwei türkischen Verbänden, der 16. und 19. Infanterie-Division, kommandiert.
Einen Tag später, am 19. September, ist es dann soweit. Auf breiter Front greifen die Engländer im Zuge der „Palästinaschlacht“ an (die Engländer nennen diese Schlacht „Battle of Mediggo“, manchmal „Battle of Armaggedon“). Vielerorts durchbrechen sie die türkischen Stellungen, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Der historischen Gerechtigkeit halber muss aber auch gesagt werden, dass die türkischen Bataillone, von ihren Versorgungseinheiten seit längerer Zeit weder ausgerüstet noch verpflegt, im Durst und Hunger und halbnackt dem zweistündige Trommelfeuer nicht standgehalten hatten.
Den rund 3.000 berittenen Truppen und 32.000 Infanteristen mit ihren 402 Geschützen auf türkisch-deutscher Seite stehen 12.000 alliierte Kavalleristen und 57.000 Infanteristen mit 540 Geschützen und zahlreichen Flugzeugen zur Verfügung. Dazu treten die arabischen Milizen, die Oberstleutnant T. E. Lawrence mit viel Geld rekrutiert hatte und die sich vor allem durch ihre Raub- und Mordlust auszeichnen.
Fortsetzung: http://www.hmhensel.com/battle-of-megiddo-und-stacheldraht/
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