Silvanerprobe

Silvaner im Bocksbeutel. Der hier kam zum 60. Geburtstag.
Silvaner im Bocksbeutel.

Das ist wirklich ganz verkehrt, wie Sie das machen, mein lieber Freund! So können Sie Ihren Wein ja gerne daheim trinken, wir aber sind hier auf einer Weinprobe!

Also ich zeig’ Ihnen mal wie’s geht:

Erstens, und am wichtigsten, hält man das Weinglas immer am Stiel, dafür ist der nämlich da. Jeder Finger weiter oben ist wie eine Wärmflasche für den Wein. Außerdem weiß dann jeder sofort, daß Sie ein Neuling sind, und das wäre ja fatal, ist es nicht so? Und, mal ganz im Vertrauen: wenn Sie Ihre Finger am Glas haben, sehen Sie ja nicht mal, ob Ihnen vielleicht einer Rotwein eingeschenkt hat!

Aber nun zur Technik: Heben Sie das Glas, und schauen Sie gegen das Licht, ob der Wein zum Beispiel eine goldene Farbe hat oder wie Spülwasser aussieht oder ob da vielleicht sogar was schwimmt, zum Beispiel ein Korkstückchen. Sehen Sie? Na, ist das nicht ein wunderschöner Wein?

Und jetzt das Glas etwas schwenken – vorsichtig! – auch deshalb soll das Weinglas ja höchstens halb voll sein. –

Wie, Sie haben noch nie geschwenkt? Also mal ganz langsam: Am einfachsten ist es, wenn Sie das Glas auf den Tisch stellen und dort mit Bodenhaftung genau so kreisen, als ob Sie es in der Luft schwenken würden. Als Anfänger sollte man das Glas beim Schwenken am besten gar nicht vom Tisch abheben!

Wenn Sie jetzt, nach dem Schwenken, ganz schnell schnuppern, dann merken Sie sofort den Unterschied im Aroma zu vorhin, nicht wahr? Sag ich’s doch! Bukett nennt man das übrigens, mein Freund – und gehen Sie ruhig beim Schnuppern mit der Nase richtig tief rein ins Glas! Es wäre zwar gar nicht nötig, wenn man richtig geschwenkt hat, aber es sieht auf jeden Fall sehr professionell aus!

Und jetzt kommt der Höhepunkt: Sie nehmen einen kleinen Schluck – kleinen Schluck, sag ich! – und lassen den Wein vorne auf der Zungenspitze tanzen. Doch, doch, das geht: stellen Sie sich vor, Sie wären eine Katze und hätten den Wein mit der Zunge aufgenommen aber noch nicht im Mund verteilt.

Jetzt die Luft durch die fast geschlossenen Zähne und durch den Wein ziehen, damit möglichst viel Sauerstoff an die Aromastoffe kommt. Ja, ich weiß, ich weiß, das klingt so fürchterlich, als wenn ein Chinese Reissuppe schlürfte, aber das muß so sein, ja doch, wirklich! Es hat sich so eingebürgert und gehört hier zum guten Ton. Wer sich heute als wahrer Weinexperte präsentieren will, kommt außerdem nicht umhin, dazu beim Abgang auch noch gehörig zu Schmatzen.

Das sieht sogar die Tischdame ein, denn gute Weine, besonders die breithüftigen Bettkantentropfen, kommen so richtig gewaltig.

Na, sehen Sie?

Um Himmels willen, entschuldigen Sie! – Ein Tuch, bitte schnell!

Ich hatte ganz vergessen zu sagen, daß sich Anfänger genau an dieser Stelle wegen der unerwartet starken Entfaltung des Aromas fast immer fürchterlich verschlucken!

Hans Michael Hensel: ‹Silvanerprobe› – Godehart Schramm, Gerhard C. Krischker (Hg.): Fränkische Weinlese. Von Stefan Andres bis Kurt Tucholsky (Kleine fränkische Bibliothek Band 11). Bamberg: Kleebaum 2003, 48–50. – Der kleine Artikel erschien zuerst im jahre 1983 in der Mainpost anläßlich einer Weinprobe für eine „touristische Runde“ von Wein-unbedarften Reisejournalisten. Die waren, gesponsert vom Landratsamt Würzburg, auf Steuerzahlerkosten in Frickenhausen am Main, wobei der gegen solche Runden eigentlich abholde Autor nicht Teil der gratis verkosteten Runde, sondern Berichterstatter war. In der oben in wörtlicher Erinnerung wiedergegebenen Silvanerprobe ging es um einen feinen Tropfen des Weinguts Bickel-Stumpf, präsentiert von Reimund Stumpf, Weinbautechniker, Winzer- und Kellermeister in Thüngersheim und Frickenhausen.

2 Gedanken zu „Silvanerprobe“

  1. Lieber Herr Hensel,

    da sieht man doch einmal, wie Sie doch schon immer sehr kundig dem Frankenwein verbunden waren. Kompliment also.

    Noch intensiver entfalten sich die über den Luftsauerstoff „eingerührt“ und anschließend entfalteten Aromen bei jenen Bukett-Traubensorten Sauvignon blanc (ausgehend von der Loire und längst eine internationale Erfolgsgeschichte) oder Scheurebe und Traminer, wie sie neuerdings wieder en vogue sind.

    Herzliche Grüße

    Ihr Jochen Freihold

    Antworten
  2. Dankeschön, lieber Herr Kollege!

    Ja, es geht nichts über die aromatischen Sorten. Das sagt auch die holde Gattin. Auslesen von Scheurebe und Traminer sind eine Geschmackswelt für sich.

    Auch schon die Träubeli: Nach zweijähriger Pause haben wir an unserer Südwand jetzt durch die Hilfe eines befreundeten Winzers auch wieder einen Gewürztraminer:

    Nieder mit den lächerlichen, geschmacklosen „Tafeltrauben“ als fränkische Hausstöcke!

    Siehe die Geschichte hier:
    http://www.hmhensel.com/es-gibt-keine-traeubeli-mehr/

    Schöne Grüße nach Berlin

    Ihr hmh.

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