Auf diesen Besuch hatte wir uns schon lange gefreut: Buchhändler E. O. aus E. sowie G. C. K. aus B., Lektor und Herausgeber von Schulbüchern, der auch selbst als Verleger von so unterschiedlichen Autoren wie Oskar Panizza, Italo Svevo, Karlheinz Deschner – und sogar meiner Wenigkeit – hervorgetreten ist. Höhepunkt unseres Treffens war ein Schlachtschüsselessen im Gasthof Grüner Baum bei Weinmann in Gnodstadt. Ein sozialer und geselliger Erfolg.
Vor allem ging es natürlich um Kultur.
G. C. K., der Marktbreit und Segnitz von zahlreichen früheren Besuchen her kennt, hatte vormittags bereits Segnitz und Marktbreit zum wiederholten Male zu Fuß erkundet – in Segnitz von Bürgermeister Peter Matterne höchstpersönlich kundig begleitet. Gegen Mittag war er dann in der Marktbreiter Touristeninformation angekommen.
Interessiert betrachtete er die dort zahlreich ausliegenden Hochglanzprospekte. Was er jedoch zu seiner Überraschung nicht fand, war auch nur der klitzekleinste Hinweis auf die zahlreichen Schriftsteller, die Marktbreit und Umgebung in der Literatur, ja in einzelnen Fällen sogar in der Weltliteratur verankert haben: Wolf Justin Hartmann, Ludwig Friedrich Barthel, Italo Svevo, Leo Weismantel, Jörg Geuder und Michael Georg Conrad, um nur einige von denen zu nennen, die unter Marktbreit im Internet auf Anhieb zu finden sind.
Der vollkommen fehlende Hinweis auf auch nur einen einzigen dieser Namen machte meinen Freund natürlich erst recht neugierig, und so wandte er sich an eine holde Maid hinter der Balustrade. Er frug sie, ob sie Wolf Justin Hartmann kenne.
Zu dem Mann könnte man als Marktbreiter zum Beispiel folgendes wissen:
1 Es gibt eine Hartmannstraße in Marktbreit.
2 Die Stadt besitzt seinen literarischen Nachlass und fast sämtliche Originalausgaben seiner Bücher mit nur zwei extrem seltenen Ausnahmen.
3 Der Familien-Grabstein im städtischen Friedhof mit seinem Namen darauf gilt als Ehrengrab. (Der Grabstein ist jedoch vom ursprünglichen Standort entfernt worden, ohne daß man die Urne mit den sterblichen Überresten des Schriftstellers mitversetzt hätte.)
4 In der Stadt wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Lesungen und Gedenkveranstaltungen für Hartmann organisiert, die auch überregional beachtet wurden.
5 Marktbreit hat eine Dichterstube mit Teilnachlässen, persönlichen Gegenständen und zahlreichen Büchern, Schriften und Manuskripten von Dichtern und Schriftstellern, darunter Hartmann, die bis zur „Professionalisierung“ des Marktbreiter Kulturwesens von privatem Engagement getragen, gepflegt, finanziell in erheblichem Maße gefördert und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch geöffnet worden war.
6 Frühere Marktbreiter Bürgermeister – nein, nicht der Schnurrbartzwirbler, der gewiß nicht, aber zum Beispiel Walter Härtlein – und frühere ehrenamtliche Kulturreferenten wie Dr. Hartwig Zobel, außerdem Bürger wie der Verleger Siegfried Greß, der langjährige Vorsitzende der Frankenbundgruppe, Harald Frank, der frühere ehrenamtliche Betreuer der städtischen Internet-Adressen, Richard Scharnagel, sowie zahlreiche Mitglieder des Marktbreiter Heimatvereins wie etwa Gerd Plutz, Helga Köppl und Otto Ernst haben sich sehr für die Pflege dieser Verbindung der Stadt zur Literatur eingesetzt.
Was also antwortete das festangestellte personifizierte Marktbreiter Wissen in der hochprofessionell geführten städtischen Auskunfts- und Informationszentrale auf die Frage, ob es Wolf Justin Hartmann kenne?
Richtig. Es antwortete selbstverständlich: „Nein, den Namen habe ich noch nie gehört.“
Ich will’s mal so schreiben: Gewiß gibt es auch in Augsburg städtische Bedienstete, die nie von Bertolt Brecht gehört haben, und möglicherweise leben sogar in Heilbronn ein paar Schulschwänzer, die Ludwig Pfau und Theodor Heuss noch nicht einmal dem Namen nach kennen.
Aber in einer aufwendigen städtischen Informationszentrale, deren großartige neue Leiterin erst jüngst bescheiden genug war, sich selbst klaglos unmittelbar nach den namhaften „Töchtern und Söhnen der Stadt“ (darunter Hartmann) unter die „Persönlichkeiten (sic), die in Marktbreit wirkten“ (man beachte die Vergangenheitsform!) eintragen zu lassen?
Mehr muß man dazu nicht schreiben. Ich bin immer noch verwöhnt durch die erst vor einigen Jahren untergegangene Epoche, als das Marktbreiter kulturelle und fremdenverkehrliche Engagement überwiegend ehrenamtlich unter kenntnisreichen Bürgern und engagierten Vereinen verteilt war. Ich erinnere mich lieber dankbar an diesen noch aktiv miterlebten letzten Hauch eines derzeit gerade aussterbenden kleinstädtischen Bildungsbürgertums mit großer lokaler Geschichte, als daß ich über neue Personen und nicht zu ändernde Zeiterscheinungen zu sehr klagen möchte. Die sind so.
Deshalb nur ganz kurz noch den Schluß der Geschichte. Mein Freund hatte rein zufällig nach Marktbreit ein Buch von Hartmann („Nach Jahr und Tag“, Bamberg 2009) als passende Reiselektüre mitgenommen (deshalb seine Frage an die professionelle städische Information gerade nach diesem Schriftsteller). Er lief also zu seinem Auto zurück, holte das Buch heraus, und schenkte es der Marktbreiter Touristeninformation. Dem Vernehmen nach hat die Dame hinter der Balustrade das Geschenk großmütig angenommen, wenn auch mit einem etwas fragenden Blick.
Es wirkte auf meinen Freund wie: „Muß ich das jetzt lesen?“
Aber wer weiß das schon genau?