„Schweizerdegen“ aus Hildesheim

Manfred Oppermann im Jahre 2000 mit dem Typographen Walter Plata (links) vor einer Auswahl Hildesheimer Plakate aus dem Archiv seiner Druckerei. Bild: © hmh.
Walter Plata, Manfred Oppermann

Hildesheim. Der Schweizerdegen ist, anders als der deutsche, auf beiden Seiten geschliffen. Manfred Oppermann (* 7. April 1937, † 28. November 2012), der leidenschaftliche Hildesheimer und zugleich Welt­bürger im besten Sinne, war immer stolz auf diese Bezeichnung. Denn mit „Schweizer­degen“ bezeichnet man in der Drucker­sprache einen, der Drucker und Setzer zugleich ist.

Beide Berufe nacheinander hatte er auf Wunsch seiner Eltern erlernt, den Inhabern der 1901 gegründeten Druckerei Oppermann in der Hildesheimer Annenstraße. Zwar verdiente er sich als hervorragender Klavier- und Orgelspieler nebenbei so manchen Heller, aber er blieb „bodenständig“ und machte nach der Lehre bei bei Berliner H. Berthold AG Karriere. Dort testete er die Entwicklung einer Fotosatzmaschine (Diatype) und machte so lange Verbesserungsvorschläge, bis der Prototyp in den Verkauf ging. Später war er für den weltweit erfolgreichen Vertrieb der Fotosatzmaschinen dieser Firma mit verantwortlich (Diatype, Diatronic). Seine Arbeit führte ihn in 33 Länder und fünf Jahre lang als Vertriebsleiter in die USA.

Doch der Vielgereiste, der seine Einsichten in die Ferne in wunderbaren Bildern und seltenen Privatdrucken festgehalten hat, war Hildesheimer mit Leib und Seele. So war es selbstverständlich, daß er zurückkehrte, als die Eltern ihn riefen. 1973 übernahm er die Druckerei.

Titel und Umschlag eines Buches von 1985, gestaltet von Walter Plata, gedruckt bei Oppermann in Hildesheim.
Druck bei Oppermann

Eine Sternstunde für schöne Schrift und Gestaltung war der Beginn seiner Zusammenarbeit mit dem Typographen Walter Plata seit den 1980er Jahren. Plata, der am Ende eines abenteuerlichen Berufslebens Gestaltung an der Fachhochschule Hildesheim lehrte und in der Rosenstadt seßhaft wurde, beriet Oppermann bei der Gestaltung aller Druckerzeugnisse, die mehr als reine Auftragsarbeiten waren.

Die beiden ergänzten sich großartig. Plata hatte die perfekte Spielwiese für seine in Hildesheim gegründete „Plata-Presse“ gefunden, denn die Oppermanns hatten viele schöne und seltene historische Handsatz-Schriften über den Krieg gerettet. So entstanden hier in den 1980er und 1990er Jahre einige der schönsten Druckwerke ihrer Zeit, die unter anderem den Mitgliedern des Bundes für deutsche Schrift und Sprache in Erinnerung bleiben dürften. Auch Die deutsche Schrift, das Vierteljahresmagazin des Bundes, entstand zeitweise in Hildesheim.

Unvergeßlich und noch lange prägend wird Oppermanns Engagement für seine Stadt bleiben. Es begann, als ihn sein Namensvetter Hans-Günther Oppermann 1982 zum Schatzmeister der „Initiative Bürger helfen ihrer Stadt“ berief. Ziel der Iniitiative war, den im Krieg völlig zerstörten und „modern“ wieder aufgebauten Marktplatz, das historische Gesicht wiederzugeben. Es folgte eine beispiellose Anstrengung, um den Bürgern nicht nur das Projekt nahezubringen, sondern sie auch zu motivieren, Geld dafür zu spenden. Zeitungsartikel, Plakate und schließlich ein Buch entstanden bei Oppermann.

2000 und 2003 druckte Oppermann zwei wunderschöne Kalender „Rosen in Hildesheim“, der erste gestaltet von Walter Plata, auch zum zweiten machte der inzwischen wegen seiner Parkinson-Erkrankung ans Bett gefesselte Plata noch die Angaben, die sein letzter Schüler „John Lesney“ umsetzte. Es war Platas letzte Arbeit für Oppermann. Beide Kalender bestachen durch handgezeichnete Initialen aus dem 18. Jahrhundert und die anstatt aufgedruckten Bildern eingesteckten Postkarten mit Rosenbildern aus Hildesheim.
(Zum Vergrößern auf das Bild klicken, dann rechte Maustaste: Grafik in neuem Tab öffnen) – 2000 und 2003 druckte Oppermann zwei wunderschöne Kalender „Rosen in Hildesheim“, der erste gestaltet von Walter Plata, auch zum zweiten machte der inzwischen wegen seiner Parkinson-Erkrankung ans Bett gefesselte Plata noch die Angaben, die sein letzter Schüler „John Lesney“ umsetzte. Es war Platas letzte Arbeit für Oppermann. Beide Kalender bestachen durch handgezeichnete Initialen aus dem 18. Jahrhundert und die anstatt aufgedruckten Bildern eingesteckten Postkarten mit Rosenbildern aus Hildesheim.

Gemeinsam schaffte man es gegen erhebliche Widerstände, vor allem aus selbsternannten „fortschrittlichen“, d. h. erfahrungsgemäß wohl aus eher bildungsfernen linken Kreisen, das Geld zusammenzubringen, um das einmalige mittelalterliche Hildesheimer Ensemble im historischen Glanz wieder aufleben zu lassen. Das von Oppermann verlegte, von Plata gestaltete Buch über diese gewaltige Anstrengung, die ihren Höhepunkt im originalgetreuen Wiederaufbau des berühmten Knochenhaueramtshauses fand, dem höchsten und wohl auch schönsten Fachwerkgebäude der Welt, wurde zu einer dieser Meisterleistung wahrhaft angemessenen Krönung in schöner Typographie.

Oppermann hat unter anderem durch die Organisierung von neun großen Lotterien sehr entscheidend dazu beigetragen, daß dieses vorbildliche Hildesheimer Bürger-Engagement immer wieder von Erfolgen gekrönt wurde, die zurecht bundesweites Aufsehen bei geschichtsbewußten Menschen, Denkmalpflegern und Architekten erregten. Sein Engagement für Hildesheim hielt an, indem er auch den nachfolgenden Vereinigungen angehörte: Gründungsmitglied 1990 Initiative Rosenstadt Hildesheim, 1993 Verein zum Wiederaufbau der Treppen im Andreas-Kirchturm, 1994 Werbegemeinschaft Neustadt, 1996 Verein zum Wiederaufbau des Lamberti-Kirchturms, Gründungsmitglied im Verein der Freunde des Stadttheaters und 2000 Gründungsmitglied der Hildesheimer Altstadtgilde. In Samstagausgaben der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung erschienen lokalgeschichtliche Artikel von ihm. Zum Beispiel am Sonnabend, 5. Oktober 1996, seine Vorstellung einer gedruckten Originalausgabe der Policey-Ordnung des Bischofs von Hildesheim, eines frühen Strafgesetzbuchs von 1665. Dem  einfallslosen zuständigen Redakteur fiel allerdings nichts besseres ein, als aus dem fünfspaltigen Artikel mit dutzenden Zitaten und Bild die nichtssagende effekthaschende Überschrift „Hurerey in Clösteren“ zu generieren.

Manfred Oppermann 2010
Ausstellung 2010

Manfred Oppermann war einer der letzten, die man, ohne schamrot zu werden, als Bildungsbürger bezeichnen konnte. Der Liebhaber bibliophiler Bücher, leidenschaftliche Klavierspieler, Sammler seltener Siegel, historischer Uhren, guten Weins, der Maler, Dichter, fördernde Musik– und Theaterfreund war in Hildesheim eine kulturelle Institution, ohne sich dabei je in den Vordergrund zu drängen. Seine Bilder, die er unter anderem in einer vielbeachteten Ausstellung ab dem 16. Januar 2010 präsentierte, malte er übrigens ausschließlich mit Druckfarben. Bis kurz vor seinem Tode war Oppermann Pianist eines Quartetts, das sich auch regelmäßig Sonntag vormittag zur Hausmusik traf. Niemand, der sie erleben durfte, wird diese Ereignisse vergessen.

Und konsequent war er: Seit den 1970er Jahren unterstützte er das Stadttheater unter namhaften Intendanten wie etwa Walter Zibell und Pierre Léon, die auch die Zeit des legendären Hildesheimer Bühnenbildners und Schauspielers Hannes Fabig war, und versäumte keine Aufführung. Er kündigte jedoch sein Abonnement, als sich in Hildesheim zu Anfang des neuen Jahrtausends eine Art von Regietheater etabliert hatte, bei deren Aufführungen die zugrundeliegenden Werke oft kaum noch zu erkennen waren. Den kenntnisreichen und um „sein“ Theater höchst besorgten Brief, den er damals zur Begründung an den Intendanten schrieb, sollte man zur Pflichtlektüre gewisser sehr typisch deutscher Theaterleute machen, deren Aufführungen im internationalen Vergleich aus leider gutem Grund nur selten ernstgenommen werden.

Die Bleisatzwerkstatt im Keller der Druckerei Oppermann wirkte nicht nur wie ein Museum, sie war es auch. Heute befindet sich der gesamte Bestand an Geräten und Bleisatzschriften mit Ausnahme der 14 Punkt Dürer-Fraktur im Gutenberg-Museum in Mainz. Auf dem Bild erklärt Manfred Oppermann die Herstellung von Klischees. Mit auf dem Bild von links Walter Plata, die Hildesheimer Kalligrafin Simone Rosenow (Gruppe 26), Phakinee Dokmaingam und die Schauspielerin Anette Lauenstein, Lebensgefährtin von Walter Plata. (Bild: Hans Michael Hensel, 1999)
In Oppermanns Bleisatzwerkstatt.

2003 verkaufte Oppermann seinen Betrieb. An der Seite seiner zweiten Frau Sigrid, die schon seit 1975 seine rechte Hand im Geschäft und bei seinem Engagement für Hildesheim war, widmete er sich nun seinen größten Leidenschaften, dem Reisen, dem Malen, der Kultur und der Musik. Er stellte seine Autobiographie zusammen und veröffentlichte einen Band mit humorvollen Kurzgeschichten und Gedichten. Die letzte zusammen mit Walter Plata gestaltete Arbeit, die Firmenchronik Hundert Jahre Druckerei Oppermann mit zahlreichen Druckbeispielen, war nicht nur eine Hildesheimer Stadtgeschichte aus seiner kenntnisreichen Sicht, sondern zugleich ein letztes, grandioses Plädoyer für gute Typographie auch in Alltagsdrucksachen. Für den Lions-Club, die Altstadtgilde, deren rühriger, offiziell nur „stellvertretender“ Vorsitzender er war, sowie für weitere Vereine und Initiativen wie dem Bund für deutsche Schrift und Sprache engagierte er sich weiterhin. Die historischen Bleisatzschriften seiner Druckerei samt dazugehöriger Einrichtung sicherte im Jahre 2004 Prof. Otto Martin für die Druckwerkstatt des Gutenbergmuseums in Mainz. Manfred Oppermann hatte sein Haus wohl bestellt. Ende 2012 erkrankte er plötzlich während einer Reise schwer und starb am 28. November.

Zuletzt hatte er in seiner Stadt noch maßgeblich den Wiederaufbau des Kirchturmes von St. Lamberti initiiert, dessen Fertigstellung er noch erlebte.

Manfred Oppermann und seine Frau besuchten auch die Villa Segeniz in Segnitz am Main. (Photo Sigrid Oppermann)
Besuch in Segnitz

Manfred Oppermann gehörte zu der gerade für immer verschwindenden Generation von Unternehmern, denen es selbstverständlich war, für ihre Heimat und für ihre Mitmenschen persönliche und auch finanzielle Opfer zu bringen. Wenn auch der Letzte einmal verstanden haben wird, daß man von einem – natürlich nur fiktiv genannten – Herrn Aldi oder von einer Frau Lidl ein solches lokales Engagement nicht erwarten kann, wird es Unternehmer und Mäzene seines Formats vermutlich nicht mehr geben.

Die unsägliche Lokalredaktion der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung, deren freier Mitarbeiter er einst war, druckte seine bezahlte Todesanzeige ab und erwähnte ihn ansonsten mit keinem Wort.

Dieser ergänzte Artikel erschien zuerst in Die deutsche Schrift Nr. 1/2012, 185. Folge, 80. Jahrgang.

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