Wir wohnen da, wo Wein wächst und andere Urlaub machen. Die Bilder entstanden vor der Weinlese 2014.
An unserem Haus und im Garten haben wir jede Menge alte Hausstöcke: eine unidentifizierte alte Sorte, die schon vor 100 Jahren unter der Hand eines sagenhaften „Onkel Adam“ gedieh und eine weitere, die auf meinen Opa zurückgeht.
Zudem haben wir Grünen Silvaner, Weißen Gutedel (den ich als Kellermeister in der Schweiz als Fendant kennenlernte), Scheurebe und neben einem Schweizer Muscat Bleu zwei weitere Sorten, die ich 1979 und 1981 als Erinnerungen an die Weinlesen in Beaujolais und im Huapai Tal bei Auckland in Neuseeland mitgebracht habe: Gamay, der nur wegen der nostalgischen Erinnerung des Hausherrn an Saint-Amour-Bellevue geduldet ist, da die Traube nicht besonders gut schmeckt, und eine großartige Variante des Weißen Muskatellers, die ich 1981 dank der Hilfe meines Chefs Brian C. Hetherington (New Zealand Grape Growers Council), nach Franken importieren konnte. Von dieser Sorte, die damals in Deutschland niemand kannte, haben wir heute vier Stöcke, denn der „July [White] Muscat“ wurde zur Lieblingstraube der holden Gattin, und damit genau das, was die Sorte auch schon für Brians Frau gewesen war.
Leider hat unser Gewürztraminer vor zwei jahren ein Baugerüst am Haus nicht überlebt.
Doch kein Problem, kaufen wir eben einen neuen Stock, selbstverständlich bei einer alteingesessenen heimischen Rebschule!
Ich spiele kurz mit dem Gedanken, aus Lokalpatriotismus einen Rieslaner, das Meisterwerk des in Marktbreit geborenen Ökonomierats und Rebenzüchters August Ziegler anzuschaffen, indes, der Rieslaner macht zwar (in guten Jahren) unseren Lieblingswein, die Träubeli schmecken aber nicht besonders gut: Also wieder Traminer!
Gedacht, getan.
Rebschule Schmitt in Obernbreit: Bietet laut Eigenwerbung „Weinreben und Tafeltrauben für Winzer und Hobbywinzer“.
Na denn:
– Ich möchte gerne einen Gewürztraminer!
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– Gewürztraminer hamm mer nicht!
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– Was haben Sie denn sonst an alten heimischen Sorten Weintrauben, Silvaner, Bacchus?
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– Wir haben nur Tafeltrauben.
Wie bitte? Kein Gewürztraminer, kein Silvaner, nicht mal ein Müller in einer fränkischen Rebschule, die angeblich Winzer beliefert? Und ein vermeintlich gestandener Rebschüler kennt die vielleicht schmackhafteste unserer heimischen Traubensorten nicht, die eine mitteleuropäische Ursorte überhaupt ist, wie sich im Gespräch herausstellt? Hat er wirklich nur noch jenes geschmacklose, aufgeblasene Zeug, das so verzüchtet ist, daß die Handelssorten oft nicht mal mehr Kerne haben, dafür saure, ungenießbare Schalen, die mit Hormonen behandelt werden müssen, damit sich darunter überhaupt noch was biologisches aufbaut, das entfernt an Trauben erinnert?
Ich mache noch einen Versuch in der größten Baumschule weit und breit. Müllerklein in Karlstadt, früher empfehlenswert, inzwischen teurer als preiswert, aber immerhin mit großem Sortiment. Dort die gleiche Auskunft: Wir haben nur Tafeltrauben. Schwach. Sehr schwach
Die Aldisierung des Reb- und Baumschulenunwesens ist in vollem Gang.
Was sind das für fränkische Rebschulen, die keine einzige heimische Weinstöcke mehr kennen und anbieten? Ein Witz.
Und die Kundschaft?
Aber die muß man in Schutz nehmen. Vermutlich hat die Pisa-Generation, die nahezu täglich die unsäglichen, geschmacklosen, im ausgehenden Winter „auf Brühe“ geschnittenen und im Sommer gewässerten, sogenannten Tafeltrauben aus dem Supermarkt konsumieren muß (weil es nichts anderes gibt), überhaupt keine Ahnung mehr vom Aroma einer vollreifen, zuckersüßen Weintraube aus einem Spätlese-Jahr. Und wenn, wie im vorliegenden Falle, auch niemand mehr da ist, der beraten kann… dann essen eben irgendwann alle die gleichen geschmacksarmen Einheitssorten.
In der Tat: Es gibt in Franken für den Normalverbraucher keine Träubeli mehr für Hauswände und Gärten. Es sei denn, eine Gemeinde, wie zum Beispiel in Fríckenhausen am Main, sorgt dank eines rührigen Winzervereins, der auch teilweise die Pflege übernimmt, selbst dafür, daß im Ort ordentliche Weinreben gepflanzt werden
Dieselbe Erfahrung muß man heute oft bei unseren heimischen Apfel- und Birnensorten machen: Versuchen Sie mal, eine der großartigen alten Sorten zu bekommen, die sich wie keine heutige Sorte zum Einmachen oder Verarbeiten eignete – oder auch nur eine, die noch ganz unverwechselbar und individuell schmeckt: Weißer Winterkalvill, Goldparmäne, Freiherr von Berlepsch… Ein Städter würde heute wohl einen Winterkalvill im Blindtest nicht mal mehr als Apfel erkennen, vermute ich.
Oder versuchen Sie eine simple Fränkische Hauszwetschge zu bekommen, die Sorte, die man fast bis zum Frost hängen lassen kann, jedenfalls solange, bis die Früchte „den Arsch einziehen“, wie mein Opa sagte, denn genau dann schmecken sie am besten und sind als Dörrobst schon vorgetrocknet.
Vom Aussterben bedroht!
Warum?
Fortschritt? EU-Diktat? Dummheit ahnungsloser Konsumenten, die ohnehin nicht mehr wissen – und auch gar nicht mehr genau wissen wollen –, was sie einerseits essen und andererseits essen könnten?
Man muß heute weit gehen, um noch eine Baumschule zu finden, die die alten Sorten nicht nur anbietet, sondern auch etwas davon versteht.
Weil wir gerade dabei sind: Wenn die wenigen guten heimischen Baumschulen und Händler wie zum Beispiel Weiglein in Geesdorf mal etwas nicht besorgen kann, dann kann ich für alte Sorten diese nicht ganz billige, aber hervorragende Baumschule alter Prägung aus eigener Erfahrung sehr empfehlen: www.baumschule-brenninger.de
Fränkische Weinträubeli haben die beiden genannten aber auch nicht.
Nachtrag am 28. September 2019: Über einen befreundeten Winzer bekamen wir im Jahre 2017 doch wieder einen Gewürztraminer; er steht direkt neben der Haustüre und hat heuer seine ersten, zuckersüßen Trauben geliefert.