Für die Ausgabe der TIP Zeitung für Thailand vom 5. August 2007 schrieb ich eine Kolumne, die im Leserforum des Blattes einen Indianeraufstand verursachte. Meine Schmähschrift E-Müller, Händi-Brüller und andere Kotzbrocken sorgte für Wogen der Empörung. Der monatelange Aufruhr am TIP-Lagerfeuer war der Auslöser , daß ich mich dort zu Weihnachten 2007 auf dringende Bitte des TIP-Chefs selbst anmeldete, um beizutragen, daß die Kriegsbeile begraben und die Friedenspfeifen wieder aus den TIPis geholt wurden.
Heute verstehe ich die rebellischen Krieger. Ich hatte meinen Vorurteilen gegen Leute, die mich mit schlampig geschriebenen Emails nerven oder sich öffentlich am Telefon über private und nichtige Dinge austauschen, freien Lauf gelassen. Der Artikel tat mir gut. Ich hatte ihn vor allem für mich geschrieben.
Der Abschnitt über die Händi-Brüller fing so an:
Weil ich gerade so schön beim Schimpfen auf die Alltagsterroristen bin, auf an die nächste Front!
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Kein Mobiltelephon zu haben, spart es einem, an der Fleischtheke Sätze sagen zu müssen wie „Ich liebe Dich auch, Mutti!“ und mit dem untergeklemmten Ding so auszusehen wie Stephen Hawking am ersten Arbeitstag im Callcenter. (York Pijahn) … „Wer ständig erreichbar sein muß, gehört zum Personal“, verkündete einst Johannes Gross im F.A.Z.-Magazin.
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Daß ich kein Funktelefon benötige, wußte ich, als Harry eines anschaffte. Harry, müssen Sie wissen, kam im gleichen Jahr wie ich in die Volksschule und verließ sie im 14. Lebensjahr vor dem Abschluß der zweiten Klasse. So etwas kam seinerzeit in fränkischen Dörfern schon mal vor. […] Vielleicht auf Wunsch seiner Freundin muß Harry heute ständig erreichbar sein. Es wird ja alles immer komplizierter.
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Einmal erlebte ich ihn, wie er auf unserem Kirchplatz vor großem Publikum ins Mobiltelephon brüllte, als gäbe er Anweisungen für ein Limit über elf Millionen in Aktien-Verkäufen. Dabei hat er sich bloß mit seinem Kumpel Gerhard verabredet… Seitdem ist das Mobiltelephon für mich erledigt. Dinge, die Harry und Gerhard brauchen, waren noch nie was für mich.
Quelle: E-Müller und Händi-Brüller (2/3 runter auf der Seite)
Doch, ich habe bis heute durchgehalten. Jedenfalls was das strippenlose Quasseln betrifft. Bis zum 4. Dezember 2013, dem Tag, als ich mein Nokia Lumia 1020 bei Mrass Telecom abgeholt habe, besaß ich nie ein Mobiltelefon. Telefonieren kann ich damit immer noch nicht, und habe es auch nicht vor. Ich scheitere üblicherweise schon beim virtuellen „Abheben“ und Ausschalten solcher technischer Wunderwerke. Die holde Gattin ist Zeugin: ich bestellte das Ding, das keine Sim-Karte hat und ohne Vertrag doppelt so teuer wie „normal“ war, weil mein zweites und letztes noch funktionierendes Kameragehäuse kurz davor stand, den Geist aufzugegeben.
Selbstverständlich habe ich sehr lange überlegt, wie ich das vor mir selbst begründe. Es dauerte wohl etwa zwei bis drei Sekunden, bis ich mich an den alten Lehrsatz „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“ erinnerte. So ein flaches Ding im Jackett anstatt eine kiloschwere Phototasche mitzuschleppen oder einen Photographen zum Termin zu bestellen, ist einfach zu reizvoll. Das Nokia Lumia ist ein geiles Stück!
Von der Canon A 1 zum Lumia
Beim Mainpresse-Verlag, wo ich mir seit April 1980 noch während des Studiums das erste journalistische Zubrot verdiente, bekamen Redakteure, Volontäre und freie Mitarbeiter den Schwarzweißfilm und, wenn nötig, auch den Farbfilm gestellt. Man war nicht kleinlich, Zeitungen verdienten damals gut. Für mich ein Glück, denn meine Ausbeute war selten mehr als ein oder zwei Bilder pro Film, die mir nach der Vorauswahl und dem Entwickeln wirklich gefielen.
Das kam so: Privat war ich immer „sparsam“ mit den teuren Filmen gewesen. Auf meinen ersten Reisen, in der Südsee, in Amerika und Asien habe ich dennoch ein Vermögen für Diafilme ausgegeben, die, sobald sie belichtet waren, damals von unterwegs per sündhaft teurer Luftpost direkt ans Labor gingen. Ich stellte nach einer einjährigen Weltreise einen Diavortrag über die Südsee zusammen, der in Vorträgen gut ankam, und bildete mir ein, daß ich eigentlich schon ziemlich gut sei.
Pustekuchen. Gleich nach einem meiner ersten größeren Termine Anfang der 1980er für die Mainpost stutzte mich mein Resortleiter Anton Sahlender wegen meiner „Gurken“ auf normale Größe zurück. Das ging etwa so:
„Was soll ich mit solchen Gurken, Mann? Komm’ mir nicht nochmal mit sowas! Nimm Dein Weitwinkel, Kerl, und ran, ran, ran ans Motiv, sag ich, mittenrein! Wehe, du tanzt hier nochmal mit fünf Einzelbldern an! Zieh den Film durch, wozu glaubst Du, daß Du den hast?!“
Darauf zerhackte er vor meinen Augen eine meiner „Gurken“ per Bildschneider – eine Art Fallbeil aus Stahl, bei dessen Gebrauch man damals noch richtig Angst um seine Finger haben durfte – auf ungefähre Briefmarkengröße. Erstaunlicherweise wurde daraus über das Klischee für den Hochdruck mit 56er Raster ein richtig gutes zweispaltiges Zeitungsbild für die Aufmacherseite. Ich war beeindruckt.
Mit dieser Lehrstunde, die ich später bei jeder passenden Gelegenheit selbst an Volontäre und freie Mitarbeiter weitergab, war meine Ausbildung als freier Bildberichter für die nächsten drei Jahre in Würzburg beendet. (Später geriet ich in einer anderen Redaktion an einen genialen Photographen, Tom Bierl, später Chefredakteur beim Delius Klasing Verlag, der mir die wirklichen journalistischen photographischen Feinheiten beibrachte.)
Ich beherzigte jedenfalls diese erste und für lange Zeit einzige Lektion. Ab sofort hatte ich bei Terminen fast immer das Weitwinkel auf der Kamera und erwarb zu meinem eigenen Erstaunen in wenigen Wochen wohl den Ruf eines brauchbaren Bildberichters, jedenfalls stieg die Zahl der Aufträge rapide an.
Ich hatte meistens ein zweites Kameragehäuse mit Farbfilm dabei, für alle Fälle und vor allem für zusätzliche Geschichten in den damals schon farbigen Wochenendausgaben. Meine Ausrüstung bestand aus zwei Canon A 1 mit allerhand Zubehör, und wog zusammen etwa fünf Kilo, von denen ich mindestens drei zu jedem Termin mitgeschleppt habe.
Heute kostet es fast nichts mehr, gute Pressebilder zu machen, nur noch „Auge und Händchen“ und man muß, solange man keine Sport-, sonstige Aktionsbilder oder Spezialaufnahmen macht, eigentlich nur noch maximal 230 Gramm mit sich herum„schleppen“.
Obwohl ich 35 Jahre lang das Gegenteil gepredigt und gemacht habe, rate ich heute, außer bei den wenigen oben eingeschlossenen Ausnahmen, vom schweren technischen Aufwand bei Kameras ab. Vor vier Monaten, wie gesagt, habe ich radikal und für immer abgerüstet.
Statt zweimal Canon A 1 mit zusammen fünf sündhaft teuren Objektiven, Systemblitz, Polfilter, UV-Filter (je drei Stück, da Linsengrößen 3 x 52 mm, 1 x 58 mm für FD 4,0 80-200 mm und 1 x 72 mm für die asphärische Linse des legendären FD 3,5 20-35mmm), Nahlinse usw, zusammen 10 000 DM teuer, „schleppe“ ich seit Dezember nun nur noch das Nokia Lumia 1020 mit mir herum.
Es wiegt 230 Gramm einschließlich Kameragriff mit integrierter zweiter Batterie und Stativanschluß, und es kann, mit der einzigen bisher vermißten Ausnahme Extrem-Tele alles, wirklich alles besser als meine gute alte A1. Andere Kameras hatte ich seitdem nie mehr in der Hand, bis vor einem halben Jahr habe ich analog photographiert, zuletzt allerdings nur noch mit einer Kamera, nachdem das am meisten strapazierte Gehäuse aus Schwarzweißbild-Tagen schon vor einigen Jahren ins Kamera-Nirwana eingegangen war.
Die A1 war um 1980 und für einige Zeit danach meiner Ansicht nach die beste Spiegelreflex der Welt mit der ersten Programm-Vollautomatik. Sie hatte mich 1979 für die Photographie begeistert, weil sie alle professionellen Freiheiten bot, obwohl sie für mich als beruflichen Anfänger zugleich auch fast narrensicher war.
Fast narrensicher: Das schwierigste war damals das Filmeinfädeln, leider habe ich es vier oder fünfmal nicht geschafft, darunter ausgerechnet bei einer Fahrt durch das Tal der Monumente in Arizona 1980 sowie bei meinem einzigen Segeltörn in der Südsee, den ich (als Mitsegler) je unternommen habe (1981) und für den ich einst extra meinen Segelschein im Mittelmeer gemacht hatte. Ich könnte mich heute noch in den Hintern beißen, wenn ich dran denke: Ich habe keine eigenen Bilder davon.
So etwas passiert mit dem Nokia schon mal nicht. Im Gegenteil: Seit den allerersten Aufnahmen mit dem neuen Stück steht für mich fest: So sieht echter, buchstäblich befreiender Fortschritt aus!
Obwohl das Nokia mit dem Kameragriff schon gut in der Hand liegt, wünsche ich mir allerdings als einziges Extra noch so etwas wie das durchdachte Colani-Design der alten Canon Spiegelreflexkameras für meinen weißen Flachmann. Das wäre dann perfekt.